Demographischer Wandel in Deutschland und dessen Auswirkungen auf die Altenpflege
Dass Änderungen im Gesundheitswesen unabdingbar sind, ist längst klar. Denn Menschen sollen nicht nur Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung haben. Vielmehr besteht das Ziel, diese an die Bedürfnisse der Bevölkerung und Patient*innen auszurichten (Holzinger 2017). Doch dieses Ziel zu erreichen, gestaltet sich schwierig.
Infolge des demografischen Wandels sowie den verbesserten medizinischen Möglichkeiten und der damit ansteigenden Lebenserwartung, steigt auch die Zahl der Pflegebedürftigen seit Jahren an (Bundesagentur für Arbeit 2022; Seyda, Köppen & Hickmann 2021). So lag die Zahl der bundesweit pflegebedürftigen Menschen im Jahr 2019 bei 4,1 Millionen, was im Vergleich zum letzten Erhebungszeitpunkt 2017 etwa 21%, also 713.000 Pflegebedürftige mehr waren (Statistisches Bundesamt 2019a, BA 2022).
Anstieg an Auszubildenden - aber das reicht nicht aus
Auch der Bedarf an Fachkräften wird sich in allen Bereichen der Pflege konstant erhöhen. Wie Seyda, Köppen und Hickmann (2021) erklären, sind die Fachkräftelücken bei Alten- und Krankenpfleger*innen bereits heute größer als in jedem anderen Beruf. Trotz des deutlichen Anstiegs von Beschäftigten und Auszubildenden in der Altenpflege – allein im Vergleich zu 2020 sind es 60.000 Pflegekräfte mehr – reicht die Entwicklung nicht aus, um den zunehmenden Mangel zu decken (Flake, Kochskämper, Risius & Seyda 2018, BA 2022). Der Anteil an offenen Stellen, der nicht besetzt werden kann – lag in der Kranken- und Altenpflege 2020/21 im Durchschnitt bei 80,1 % (Seyda, Köppen & Hickmannn 2021). „Das bedeutet, selbst wenn man bundesweit jede arbeitslose Fachkraft in der Pflege einer offenen Stelle zuordnen würde […], dann würden immer noch mehr als acht von zehn Stellen unbesetzt bleiben“ (Seyda, Köppen & Hickmannn 2021, S. 4).
Veränderungen in der Pflege durch Technologien
Angesichts dessen ist der Einsatz innovativer Technologien unumgänglich (Holzinger 2017). Für die Pflegebranche sollte die fortschreitende Digitalisierung stärker in den Blick genommen werden. Um die Akteure des Gesundheitssystems zu unterstützen und die Versorgung im Sinne der Patient*innen zu verbessern, eignen sich Technologien, wovon zahlreiche bereits bestehen. Durch den Einsatz der Systeme und Geräte sollen verschiedene Ziele erreicht werden, u.a.
- der Ausgleich des Arbeitskräftemangels,
- die Unterstützung bei Versorgungsprozessen,
- die Verbesserung der Arbeitsbedingungen,
- die Entlastung der Arbeitskräfte bei physisch und
- psychisch anstrengender Tätigkeit.
Weiter soll mehr Teilhabe der zu Pflegenden ermöglicht und die Selbständigkeit sowie die Selbstbestimmung länger erhalten bleiben. (Meißner 2019; Weber 2020)
Good-Practice Beispiele von Digitalisierung in der Pflege
Good-Practice-Beispiele als auch Studien zeigen positive Seiten auf, die mithilfe von Digitalisierung in der Pflege bereits erreicht wurden bzw. erwünscht werden.
Der wahrscheinlich größte und sich auf einer Vielzahl folgender Punkte auswirkender Aspekt, ist die Entlastung der Pflegekräfte in vielerlei Hinsicht. Wie eine Pflegefachkraft berichtet, sind hoher Zeitdruck, Arbeitsverdichtung sowie ungeplante Ereignisse tägliche psychische Belastungsfaktoren, welche sich durch den Einsatz von Technologien – insbesondere in der Abendschicht – verringert haben. Durch Anwendungen zur sprachbasierten Dokumentation können Prozesse, welche im Arbeitsalltag viel Zeit in Anspruch nehmen, „komprimiert“ bzw. schneller ausgeführt werden. Mitarbeitende diverser Einrichtungen haben auch das Gefühl, durch entsprechende Technologien effizienter zu arbeiten. Pflegeroboter können z.B. zu Pflegende beschäftigen, während die Pflegekraft Medikamente ausgibt oder andere zu Pflegende auf die Toilette begleitet. Systeme die bei der Umlagerung unterstützen (z.B. Liftsysteme, Hydraulikstühle), wirken sich positiv auf die körperliche Belastung aus.
Insgesamt wird Stress reduziert und die Arbeitszufriedenheit gesteigert. Dies geht mit weniger krankheitsbedingten Fehltagen oder Kündigungen einher. Die befragten Mitarbeitenden berichten über „volle Akkus“ im Zusammenhang mit den Technologien. Viele können sich vorstellen bis zur Rente im Beruf zu bleiben. Zudem entsteht durch Digitalisierung eine größere Aufgabenvielfalt, was zum einen neuer Anreiz für Arbeitnehmende und zum anderen eine Erweiterung der eigenen (technischen) Kompetenzen bedeuten kann.
Die eingesparte Arbeitszeit – durch das Komprimieren von Prozessen wie: Dokumentation, Verminderung von Laufwegen (Rufsystem), regelmäßige Kontrolle des IST-Zustandes bei Inkontinenz (Sensorik am Inkontinenzprodukt) oder Patient*innen mit Hinlauftendenz (Bodensensorik, GPS-Armband) – kann für die „eigentliche“ Pflege bei Bewohnenden investiert werden.
Qualitätssteigerung kann in unterschiedlichen Bereichen erzielt werden – der Pflege selbst, der Dokumentation, der Kommunikation. Vorgegebene Ziele können besser eingehalten werden wie z.B. bei der zeitnahen und lückenlosen Pflegedokumentation oder bei Umlagerungen. Eine zentralisierte, übersichtliche und ortsunabhängige Datensammlung kann zu einer verbesserten Entscheidungsfindung verhelfen. Außerdem wird der interprofessionelle Austausch qualitativ und quantitativ gesteigert. Hier kann die Pflege neben der gemeinsamen Dokumentation z.B. durch die Datenbrille oder telemedizinische Anwendungen mit behandelnden Ärzt*innen unterstützt werden.
Sowohl die Bewohnenden als auch die Mitarbeitenden haben ein gesteigertes Sicherheitsgefühl durch beispielsweise Sturzsensoren mit automatischer Benachrichtigung ans Personal. Bewohnende trauen sich mehr (allein) zu, da Sie wissen, wenn Sie stürzen, kommt jemand zur Hilfe. Auch Sensorik, die unbemerktes Verschwinden von Bewohnenden verhindert, nimmt Mitarbeitenden Stress und gibt Ihnen Sicherheit. So können, im Fall der Fälle, Menschen schneller gefunden und ihnen geholfen werden – Stichwörter: Mobilitätssteigerung, erhöhte Lebensqualität und Selbständigkeit der Bewohnenden. Weiterhin berichtet ein interviewter Mitarbeiter, dass durch Hüftprotektoren Hüftfrakturen bis zu 50% reduziert werden konnten, was auch finanzielle Einsparungen mit sich bringt (u.a. Reduktion von Medikamenten).
Ein weiterer benannter Vorteil ist besserer Schlaf der Bewohnenden. Zum einen können Technologien wie ein Unterhaltungsroboter die Bewohnenden tagsüber aktivieren, was sich positiv auf den Nachtschlaf auswirkt (hier wieder: Reduktion sonst benötigter Schlafmedikation). Zum andern müssen zu Pflegende mit Inkontinenz oder Demenz durch entsprechende Systeme in der Nacht seltener geweckt werden.
Auch die Vernetzung zwischen Bewohnenden, Angehörigen und Personal wird positiv beeinflusst durch leichtere Kontaktaufnahme via Videoanruf oder Emails. Pflegende berichten von besserer Kooperation und Kommunikation mit den Pflegeempfangenden sowie Angehörigen und Kolleg*innen durch Technologien.
Autorin: Larissa Mazreku
Bild: pulsnetz MuTiG / Lea Bergmann